Meine analoge Zeit
Die Zeiten der analogen Fotografie waren für mich sehr lehrreich. Da ich bereit mit ca. 10 Jahren mit dem Fotografieren begann, ist die Spanne meiner analogen Phase mit über 45 Jahren deutlich länger als die mit der digitalen Kamera, die vor ca. 15 Jahren begann. Nun habe ich diese Woche meinen alten Ordner mit den Negativen meiner Pseudo-Solarisationen gescannt und natürlich muss ich hierzu einen kleinen Beitrag verfassen.
Pseudo-Solarisation
Pseudo-Solarisation, auch als Sabattier-Effekt bekannt, ist ein Phänomen in der fotografischen Dunkelkammer, wenn der Film (Negativ) oder das Fotopapier (Positiv) während der Verarbeitung diffus nachbelichtet und anschließend ausentwickelt wird. Oft wird der Begriff Pseudosolarisation gekürzt in Solarisation und die Technik der Herstellung heißt dann solarisieren. Jedoch ist der echte Solarisationseffekt, der in der Kamera bei extremen Überbelichtungen auftritt, nicht mit der Pseudosolarisation verwandt. A. Sabatier hat bereits 1862 diesen Effekt beschrieben, ohne aber eine Erklärung hierzu liefern zu können. Sein Name wurde fälschlicherweise mit Doppel-t geschrieben und so hat sich die Bezeichnung Sabattier-Effekt trotzdem bis heute gehalten.
Der Effekt wurde zwischendurch immer wieder von Fotokünstlern „neu“ entdeckt, meist durch Zufall, wenn während der Negativ-Positiv-Entwicklung versehentlich das Licht eingeschaltet wurde. Geradezu berühmt wurde damit Man Ray mit seiner geliebten Lee Miller, zu dem auch eine sehr rührende Geschichte auf YouTube zu finden ist.
Meine eigene Technik
Der Effekt auf Fotopapier hat mich selbst nie richtig gereizt, da die Umkehrung von weiß meist nur ein hässliches Grau ergeben hat. Ich habe deshalb schon früh mit orthochromatischen Filmen experimentiert. Die Planfilme hierzu kamen von Agfa und ich musste mir diese in passende Stücke von ca. 6×9 cm schneiden. So konnte ich vom originalen Negativ eine winzige Vergrößerung auf diese Filmschnipsel machen und im Entwickler beobachten, wann die Schwärzung passend war (wegen der orthochromatischen Emulsion konnte ich in der Dunkelkammer ein Rotlicht verwenden). Die Gradation des Filmes war sehr hart (er kam aus dem Reprobereich) und ich musste deshalb verschiedene Belichtungsstufen einstellen, um unterschiedliche Bereiche des Motivs darzustellen. Meist waren es vier Positive und die hiervon umpokierten Negative, die die Basis für die Pseudo-Solarisationen bildeten. Das war nun der wirklich schwierige Teil der Arbeit und viele Ergebnisse landeten im Papierkorb. Der belichtete Filmschnipsel lag bereits ausentwickelt im Entwickler während für einige Sekunden die Lampe des Vergrößerers für die Zweitbelichtung eingeschaltet wurde. Ab nun gab es verschiedene Varianten, um die feinen Linien am Ãœbergang zur Grundbelichtung zu erzeugen. Entweder man bewegte den Planfilm heftig im Entwicklerbad, bis eine ausreichende Schwärzung der zweiten Belichtung erkannt wurde, oder, was ich meistens machte, man ließ den Film ruhig ohne Bewegung im Entwickler liegen, bis die Schwärzung erreicht war. Das waren damals eben die gängigen Empfehlungen, die wirkliche Theorie dahinter ist heute sicher wissenschaftlich aufgearbeitet. Für mich als Praktiker ist das nicht mehr relevant.
Um nicht nur ein paar wenige Linienmuster zu erhalten, hatte ich ja von meist drei bis vier Negativen die Linienbilder erstellt. Diese musste ich nun übereinander kopieren. Genauso wie mit Ebenen heute in Photoshop, habe ich damals meine Linienbilder eines nach dem anderen auf ein neues Negativ umkopiert. Der Trick war dabei, dass ich mir für die Planfilmschnipsel eine Halterung mit zwei spitzen Nadeln gebaut hatte, wo jedes Filmstück gelocht wurde. So konnte ich immer wieder verschiedene Filme passgenau zusammen kopieren.
Ergebnisse
Einige der Ergebnisse meiner damaligen Experimente sind in der Galerie unten zu sehen. 1985 hatte ich mit diesen (und weiteren) Bildern eine Fotoausstellung in der Schaufenstergalerie der Dresdner Bank. Das war damals für Künstler eine begehrte Location. Heute ist dort die Kneipe Sax zu finden.
Heute nehme ich Photoshop
Die Dunkelkammer ist heute ersetzt durch Lightroom und Photoshop. Und tatsächlich gibt es unter „Filter-Stilisierungsfilter-Solarisation“ einen Effekt mit einem einfachen Klick. Aber das Ergebnis ist aus meiner Sicht völlig inakzeptabel. Möglichkeiten, solche Verfremdungen in schwarzweiß und Farbe zu erzielen geht relativ schnell und einfach mit der Gradationskurve (in Lightroom und Photoshop). Ob man das nun Pseudo-Solarisation nennt oder irgendwie anders ist zweitrangig. Es ist auf jeden Fall ein Experimentierfeld ohne Ende.
Ich selbst musste hier auch erst mal einige Zeit experimentieren, um zu einer Pseudo-Solarisation zu kommen, die meinen Ansprüchen genügt. Wichtigste Voraussetzung ist aus meiner Sicht erst mal ein Bild, das für solche Experimente auch geeignet ist. Das wären aus meiner Sicht Bilder mit klaren Formen und nicht zu viel Strukturen. Alles andere macht nur Frustration (eigene Erfahrung). Ein erstes Ergebnis einer Pseudo-Solarisation und der Weg dahin zeige ich in dem Video am Ende des Beitrags.
Video zur Pseudo-Solarisation mit Photoshop
Bei der Suche nach Möglichkeiten, den Äquidensiteneffekt des Agfa-Contour Filmes -der lange schon nicht mehr hergestellt wird- bin ich auf Ihre wunderbare Anleitung zur Pseudo-Solarisation gestossen. Meiner Meinung nach der bislang Beste Workflow im Netz zu dem Thema. Vielen Dank!
Danke, Rolf, für das freundliche Feedback. Wünsche dir weiter viel Spaß beim experimentieren.
Das kommt mir alles SEHR bekannt vor !!!
Ich hatte (Pseudo-)Solarisationen mit einem Freund Ende der 1970er/Anfang 1980er-Jahre gemacht – auch mit Lithfilm, den wir als Abfallproduckte (Verschnitt) aus der damals neuen Fotosetzerei des Vaters eines Freundes bekamen…
Das Thema interessiert mich natürlich heute noch, wie eigentlich fast alles was mit Fotografie zu tun hat. Aber auch eher von der praktischen Seite.
Bei Interesse gerne mehr Austausch. Die gezeigten Sols finde ich übrigens sehr gut. Sie gefallen mir. Diese Reduktion in die lineare Ebene der Federzeichnung…